Lozziwurm

Lozziwurm und Massenwohnungsbau
Ab Ende der 1960er Jahre boten neue Materialien neue Möglichkeiten beim Entwurf von Spielgeräten. Kunstoff war billig, formbar, in knalligen Farben verfügbar, wetterfest und entsprach dem Zeitgeist.

Der Lozziwurm / scoubidou (1972) des Schweizer Malers und Plastikers Yvan Pestalozzi (geb. 1937) gehörte zu einer der beliebtesten Spielplastiken in Schweizer Pärken, Wohnsiedlungen und Spielplätzen. Die Plastik besteht aus mindestens 19 geraden und gekrümmten Polyester-Röhrenelementen, die mit Metallringen frei zu einem gewundenen Wurm zusammengefügt werden können. Durch runde Löcher gelangen die Kinder hinein und hinaus.

„Ur“- Lozzi, Siedlung Benglen ZH, 1972/3

Der Architekt Hans Litz, Initator der Siedlung Benglen bei Fällanden ZH (erbaut 1971–1974), regte den Künster Yvan Pestalozzi zum Entwurf einer modularen Spielplastik an. Finanziert und gebaut wurde Benglen im Elementbausystem «Göhner 2» durch die Ernst Göhner AG. Dank dem Zuschuss der Baufirma konnte Pestalozzi die Herstellung des ersten „Lozziwurms“ in Auftrag geben. Dieser Prototyp wurde in der Überbauung Benglen aufgestellt. In der ebenfalls durch die E. Göhner AG gebaute Plattensiedlung Sonnhalde in Adlikon stand später ebenfalls ein Lozziwum.

Göhner-Siedlung Adlikon Sonnhalde, Foto: Heidy Gantner

Bis heute wird der Lozziwurm auf Bestellung durch die Firma Knöpfel Kunststoffe AG in Hinwil ZH produziert.

1973 stellte die Basler Galerie Beyeler einen Lozziwurm vor die Rundhofhalle, wo die 4. Ausgabe der Kunstmesse ART stattfand. Von privater Seite gekauft, kam er im Basler Schützenmattpark zu stehen. Dieser Lozziwurm wurde 2011 entfernt, weil das Material brüchig war.

Lozziwurm, Schützenmattpark, Basel, 2011 demontiert
Lozziwurm, 6. Schweizer Plastikausstellung, Biel 1975

1975 war er Teil der 6. Plastikausstellung in Biel. Der Lozziwurm wurde 1977 im Stadtpark platziert und fiel später einem Vandalenakt zum Opfer.


Exkurs Göhner AG
In der Schweiz kam der Massenwohnungsbau mir vorfabrizierten Elementen viel später als in anderen europäischen Ländern und in relativ bescheidenem Umfang zur Anwendung. Der umtriebige Bauunternehmer Ernst Göhner war ein Pionier auf diesem Gebiet. Die Göhner AG erstellte zwischen 1965 und 1980 9’000 Wohnungen zwischen Genf und Zürich in Fertigbauweise. Der Wohnungsbau der Göhner AG war 1972 Gegenstand einer heftigen Polemik zwischen wirtschaftsliberalen und Kapitalismus-kritischen Kreisen. Angeblich hatte die Göhner AG in Volketswil bei Zürich, wo die erste Göhner-Siedlung (Sunnebüel, 1965–1973) errichtet wurde, die Gemeindeautonomie und raumplanerische Vorgaben umgangen. Es entstand eine isolierte Siedlung, der die wichtigsten Gemeinschaftseinrichtungen wie Läden, Post und Spielplätze fehlten. Der Firma wurde kapitalistisches Gebahren vorgeworfen, während die Göhner AG vorgab, effizient die Wohnungsnot zu bekämpfen.
Ein Kollektivs von Architekturstudenten der ETH Zürich stiess 1972 die Polemik durch die Pubikation „Göhnerswil“ Wohnungsbau im Kapitalismus (Verlagsgenossenschaft, Zürich 1972) an.

1972 wurde Kurt Gloors (1942-1997, Schweizer Filmregisseur) neuer Dokumentarfilm „Die grünen Kinder“ im Fernsehen ausgestrahlt, der ebenfalls in der Siedlung „Sonnebüel“ alias Göhnerswil spielt. Dadurch wurde Göhnerswil landesweit bekannt. Der Film prangerte die Fantasielosigkeit von Architektur, Grünanlagen und Spielplätzen und deren negativen Auswirkungen auf die Psyche der Kinder an.

Das Buch „Wohnungsbau im Kapitalismus“ erhielt starken Beifall, weil es darum ging eine auch von Göhner unterstützte Bestrebung zur Deregulierung des Wohnungsbaus abzuwenden und die erfolgreichen genossenschaftlichen Wohnbauprogramme nicht zu gefährden. (Furter, Schoeck, S. 206)

Göhner hat jedoch bereits in der Siedlung in Adlikon (1969-1979) auf die Kritik reagiert und mit Hilfe von Architekten und Landschaftsarchitekten nach Möglichkeiten gesucht, qualitätsvolle Plattenbauten mit abwechslungsreichen Spiel- und Grünräumen zu erstellen.

Furter, Fabian, and Patrick Schoeck. Göhner Wohnen: Wachstumseuphorie und Plattenbau. Baden: hier + jetzt, 2013.

Die Sonnhalde in Adlikon : Entstehungsgeschichte einer Siedlung in Plattenbauweise aus den 70er-Jahren und Ausblick auf das Quartierleben und die Erhaltung der Wohnqualität / Peter Steiger und Hansruedi Meier. – Buchs : Heimatkundliche Vereinigung Furttal, 2014. (Mitteilungsheft / Heimatkundliche Vereinigung Furttal ; Nr. 43)

Siedlung und Zentrum „Sonnhalde“ in Adlikon ZH, Die Bauzeitung, Heft 23, 1974

Die Göhner-Siedlung Sonnhalde: Man grüsst sich wieder, NZZ vom 22.10.2016

Simon Schmuckli, Siedlung Benglen, https://www.architekturbibliothek.ch/bauwerk/siedlung-benglen/

Andreas Meier, ”Was haben Kinder mit einer Plasikausstellung zu”, 7. Plastikaustellung Biel, 1980, S. 164-166

erstellt: 12.5.2012
angepasst: 12.6.2012, 1.5.2013, 17.11.2016, 29.1.2022

Lozziwurm, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh PA, installed 2013