Mit der Industrialisierung verschlechterten sich die Wohn- und Lebensbedingungen in den Grossstädten. In den Arbeitervierteln Berlins hauste die Mehrheit der Leute in Mietskasernen, in den Hinterhöfen der Mietshäuser. Dort drang kein Sonnenstrahl hin. Ausser dem Tierpark gab es keine Freiräume oder sie lagen am Stadtrand und standen nur der Bevölkerung der wohlhabenden Schichten zur Verfügung. Kinder litten unter dem Mangel an Grün- und Freiflächen. Sie durften Parkanlangen nicht ohne Aufsicht besuchen. (Rimbach 105)
Gärtner und Gartenkünstler beschäftigten sich nicht mit der Frage des Kinderspiels. Kinder störten die Ruhe und Schönheit der Parks. Unter wachsendem Druck der Öffentlichkeit richteten sie in den Randzonen der Parks Bereiche für Kinder ein. Erstmals richtete der Hofgärtner C.A. Terscheck 1829 in den Dresdner Wallgrünflächen solche „Auffangbereiche“ ein (in den öffentlichen Anlagen südlich des Pirnaischen Tors, ein zweiter, kleinerer Platz entstand in der Nähe des Antonsplatzes). Spezielle Ausstattungen fehlten jedoch noch. Es gab Bänke für die Aufsichtspersonen, bzw. Spieltische und Sandhaufen für die Kleinsten. (Rimbach 106)
Ab 1890 bildete sich eine eigentliche Spielbewegung, angeführt von staatlich geförderten „Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in Deutschland“. Zahlreiche Vereine in allen Teilen Deutschlands schrieben sich die Volksgesundheit auf die Fahnen, Spielplätze waren Teil des Programms. Um die Jahrhundertwende stieg die Zahl der öffentlichen Spielplätze in den Städten markant. Sie waren Teil der Reformbewegung, der Gesundheitsfürsorge und dem Bemühen nach Verbesserung der körperlichen Fitness der späteren Rekruten.
Die Parkgestaltung musste sich in den Dienst dieser reformerischen Anliegen stellen und konnte sich nicht länger der schönen Gartenkunst widmen. Es waren die Anfänge der kommunalen Grün- und Freiraumplanung (Rimbach 107). In allen grösseren Städten Deutschlands war das Sandspiel beliebt, wie die Publikation „Spielen im Sand“ bewies.
In Gross-Berlin wurde in eine öffentlichen Debatte eine „Spielplatznot“ und einem generellen Mangel an nutzbaren städtischen Freiflächen beklagt. (Stadtvisionen S. 200) Sozialreformerisch interessierte Gartenbaudirektoren, Architekten und Stadtplaner, wie Hugo Koch und Leberecht Migge trieben die Entwicklung zu mehr Volksgrün voran. Beispiele aus den USA (Chigago) und England (London) dienten als Vorbild für den Volkspark ( Rimbach 107). Der Gartenarchitekt Leberecht Migge kommentierte 1913 die Parksysteme Bostons und Chicagos mit den Worten „Diese Park- und Freiflächensysteme bergen alles, was sich die Menschen der engen Grosstadt zu ihrer Erholung und Bewegung erdacht haben“. (Stadtvisionen S. 197)
In den Volksparks wie sie in Deutschland vereinzelt vor dem Ersten Weltkrieg geschaffen wurden, standen Rasenflächen für Spiel, Sport und Erholung offen. Im Zentrum stand die multifunktional nutzbare Spielwiese, dazu kamen spezielle Angebote u.a. für Kinder, wie Eisbahnen und Sandspielplätze, Trinkbrunnen und Toiletten. Spiel- und Turngeräte wurden relativ sparsam eingesetzt. (Rimbach 108)
Der erste Park dieser Art war der Schillerpark in Berlin-Mitte, Ortsteil Wedding. Der Madgeburger Gartenarchitekt Friedrich Bauer gewann den Wettbewerb für den 25 ha grossen Park, der 1909-1913 angelegt wurde. Wie im Wettbewerbsprogramm gefordert, gab es eine Bürgerwiese und eine Schülerwiese, im Winter als Eislauffläche genutzt. Im Osten und Westen lagen Sandspielplätze, ergänzt mit Turngeräten, Kletterstangen und Holzbänken. Zudem entstand erstmals ein Wasserspielplatz, den Bauer wie folgt beschrieb: „So wäre z.B. … an dort bezeichneten Mauerbrunnen mit Trögen eine zur Spielbetätigung grösserer wie kleinerer Kinder passende Gelegenheit. Das Spiel mit Wasser ist ein Bedürfnis und eine Wonne für jedes Kind. Streckenweise soll der natürliche Sandboden zum Spielen erhalten bleiben, primitive, robuste Turngeräte sind hier aufzustellen … und als weiterer Höhepunkt ein ca. 1200m2 grosses Watbecken ...“ (zitiert in Bergande, S. 114-115)
Das von Bauer beschriebene Plaschbecken entstand jedoch erst nachdem die Berliner Städtebauausstellung von 1910, die die Planschwiese im Volkspark von Chicago zeigte und auf grosse Begeisterung stiess. (Bergande 113-115).
Der Stadtplaner und Architekturkritiker Werner Hegemann bezeichnete den Schillerpark, nicht zuletzt wegen seiner Bespielbarkeit, als „erste moderne Parkschöpfung in Berlin“. „Er ist – neben dem Treptower Park – der einzige Park, der in grösserem Masse für Spielzwecke zu brauchen ist“. Als „revolutionär“ galt die Nutzung der Wiesen: Sie Schülerwiese diente dem Schulsport, die Bürgerwiese als Lager- und Spielwiese. (Stadtvisionen S. 200)
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Entwicklung der Volkparks fort. Zusätzlich wurden neue Bademöglichkeiten, Luft- ud Sonnenbäder geschaffen. Die typische Ausstattung eines Kinderspielplatzes in den 1920er Jahren waren eine Umfriedung, Sitzbänke, mehrere Sandspielbereiche und ein Planschbecken – also die Elemente Wasser, Sand und Rasen. Rutschbahnen und Klettergerüste aus Stahlrohr kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf, wahrscheinlich inspiriert von den USA, wo sie seit der Jahrhundertwede standardmässig eingesetzt wurden. (Rimbach 109, 110).
In den Grosssiedlungen des Neuen Bauens setzten Architekten die Prinzipien einer guten Durchlüftung und Besonnung aller Wohnung um, der Zugang zu Freiräume war gewährleistet, dazu gehörten auch Kinderspielplätze, v.a. Sandplätze.
Mit der Weltwirschaftskrise wurden ab 1931 die staatlichen Subventionen für den Wohnungsbau gestrichen. Im Nationalsozialismus mussten viele Vertreter des Neuen Bauens emigrieren. Im Krieg wurden Parkanlagen zerstört und dienten als Schutthalden.
Im Zuge des Wideraufbaus der Parks, wurden ab anfangs der 1950er Jahre auch neue Kinderspielplätze angelegt.
Einige städtische Gartenämter gingen dabei neue Wege und richteten für Kindern schön gestaltete Spielbereiche mit grosszügigen Sandflächen oder Wasserspielen ein. Die Düsseldorfer Wasserspielplätze von Ulrich Wolf (Gartenamtdirektor Düsseldorf 1954-1967) waren in dieser Hinsicht einzigartig. Ähnlich innovativ war das von der Volkshochschule Ulm ausgehende Projekt Sandfloh.
Im Rahmen der Bundesgartenschauen, die ab 1951 stattfanden, wurden auch innovative Kinderspielplätze entworfen und realisiert.
Relativ spät, nämlich erst 1967 entstand im Märkischen Viertel in Berlin der erste Abenteuerspielplatz. Andere betreute pädagogische Konzepte wie Spielmobile und Spielaktionen begannen in den 1970er Jahren. Sie verfolgten einen sozialpädagogischen oder kulturpädagogischen Ansatz, wie KEKS oder Pädagogische Aktion.
Einen neuen Ansatz von Spiel im öffentlichen Raum kam im Olympiapark München 1972 zur Anwendung, der unter der Leitung des Landschaftsarchitekten Günter Grzimek als Spiel- und Freizeitlandschaft angelegt ist.
Ab den 1960er Jahren entwarfen zahleiche Designer innovative Spielgeräte, die teilweise weltweit exportiert wurden: Günter Beltzig Spielplastiken aus Polyester, Hilde Richter (Gründerin von Richter Spielgeräte 1966) Spielplätze aus Holz. Beltzig in Polyest er, Richter aus Holz. Roman Antonoff entwarf für die IGA Hamburg einen Textilspielplatz, Conrad Roland war in der Entwicklung von Seilspielplätzen weltweit führend.
©Gabriela Burkhalter, architekturfuerkinder.ch
Quellen:
Kinderspielplätze / hrsg. von Gerda Gollwitzer ; unter Mitwirkung von Rudolf Ortner. – München : Callwey, 1957. (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftspflege ; Heft 2.
Daniel Rimbach: „Zur Etablierung von öffentlichen Freianlagen für Kinder bis zum Ende der Weimarer Republik„, in: Die Gartenkunst, Heft 1/2016 28. Jg, „Spiele im Garten“, Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms, S. 103-112
Betina Bergande: „Spielen im Schillerpark – Denkmalpflegerischer Umgang mit dem historischen Konzept, Veränderungen und heutigen Anforderungen„, in: Die Gartenkunst, Heft 1/2016 28. Jg, „Spiele im Garten“, Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms, S. 113-118
Leo Adler (Hrsg.): Neuzeitliche Miethäuser und Siedlungen, Gebr. Mann Verlag (1931), 1998
Willy Römer: Kinder auf der Strasse Berlin 1904-1932, Dirk Nishen Verlag in Kreuzberg, Berlin 1983.
Harald Bodenschatz et al. (Hrsg.): Stadtvisionen 1910-2010, Berlin, Paris, London, Chicago. 100 Jahre Allgemeine Städtebauausstellung in Berlin, DOM Publishers, Berlin 2010.
Pamela Voig: Die Pionierphase des Bauens mit glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK), 1942 bis 1980. Weimar 2007.
Schillerpark auf der webseite von berliner-moderne.de
Carl Adolph Terschek in: Sächsische Biographie
Bilder:
Kinderspielplätze / hrsg. von Gerda Gollwitzer, S. 43, 91-93.
erstellt am 22.8.2011, angepasst: 17.11.2014, 3.8.2021